Lichtgedanken 02

S C HW E R P U N K T 24 schriften und Sondersammlungen der ThULB und hat die Ausstellung konzi- piert und mit seinem Team vorbereitet. Was der Besucher hier sieht, könnte man also auch Arbeitsmaterialien nen- nen: Luther und andere Reformatoren haben die Bücher verfasst oder die Tex- te anderer kommentiert, zwischen den gedruckten Zeilen und an den Rändern mit ellenlangen Notizen versehen. Ihre Handschriften – klein und für den un- geübten Betrachter schwerlich lesbar – machen die Bände, vor denen ich hier stehe, zu Unikaten und – wahrhaftig – zu Schätzen. Weltdokument: Luthers Messe Seltenheitswert hat etwa ein kleiner, von außen völlig unscheinbarer Band, der gleich in der ersten Vitrine ausge- stellt ist: Die aufgeschlagene Seite zeigt das Titelblatt der »Deutschen Messe« von Martin Luther. 1526 in Wittenberg gedruckt, gehört das schmale Werk seit 2015 zum Weltdokumentenerbe der UNESCO. »Der Druck ist vermutlich das einzige vollständig erhaltene Exem- plar der zweiten Auflage«, weiß Dr. Ott und macht mich auf die Titelbordüre aufmerksam, die der Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren entstammt. Mit der Schrift »Deudsche Messe vnd ordnung Gottis diensts« – so der voll- ständige Titel – bot Luther erstmals die komplette Liturgie des Hauptgottes- dienstes in deutscher Sprache. Wäh- rend andere Reformatoren seit 1522 bereits deutschsprachige Gottesdienst- ordnungen herausgegeben hatten, hielt Luther bis zum 29. Oktober 1525 die Messe noch in lateinischer Sprache. Erst danach feierte auch er den Gottesdienst auf Deutsch. Das nur etwa drei Millimeter schma- le Heftchen ist Teil eines in Pergament gebundenen Sammelbandes mit ins- gesamt 32 Schriften der Reformatoren. Doch wie kommt ein solches Werk mit- ten in ein Sammelsurium anderer Tex- te? »Es war damals üblich, Texte sepa- rat von Bucheinbänden zu verkaufen«, weiß Joachim Ott. »Die Leser sammel- ten, was sie interessierte und ließen es in ihrer ganz individuellen Zusammen- stellung binden.« In der Vitrine direkt gegenüber steht das wohl gewichtigste Werk der Aus- stellung: Die zwölf großen, in Leder gebundenen Folio-Bände der Jenaer Lutherausgabe – sämtliche Schriften des Reformators – acht in deutscher, vier in lateinischer Sprache. Gedruckt wurde die Sammlung im zur Drucke- rei umfunktionierten Karmelitenklos- ter am heutigen Engelplatz, das nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten seit einigen Wochen für Besucher zu- gänglich ist. Zwischen 1555 und 1558 erschienen, ist die Ausgabe das wich- tigste Zeugnis Jenaer Buchdruckge- schichte. »Die Ausgabe ist von den Er- nestinischen Herzögen in Konkurrenz zur Wittenberger Ausgabe beauftragt worden, da Wittenberg zu jener Zeit nicht mehr unter ernestinischer Herr- schaft stand«, sagt Ott. Luthers enger Vertrauter Georg Rörer gab persönliche Anweisungen zu Edition und Druck. Seine handschriftlichen und gedruck- ten Vorgaben sind in der Vitrine eben- falls ausgestellt. Der erste Band der Jenaer Lutherausga- be liegt aufgeschlagen in seinem Schau- kasten. Schätzungsweise vier bis fünf Kilo bringt der gewaltige Buchblock auf die Waage. Die übrigen Bände ste- hen ihm in Umfang und Größe nicht nach und sind dahinter aufgereiht. Das Titelblatt des Buches »Erster Teil aller Bücher vnd Schrifften des thewren se- ligen Mans Doct. Mart. Lutheri« ziert ein Holzschnitt, der neben Luther den Gründer der Universität Jena (»Han- fried«) zeigt, beide im Gebet vor Chris- tus am Kreuz. Der Text in großen ver- zierten Buchstaben ist in Schwarz und Rot gedruckt. An der Vorderseite des Bandes sind zwei Messingschließen an- gebracht, mit denen sich das Buch fest verschließen lässt. Auch wenn die Jahrhunderte ihre Spu- ren an diesen Prachtstücken frühneu- zeitlicher Handwerkskunst hinterlas- sen haben – ihre fast 500 Jahre sieht man ihnen definitiv nicht an. »Die Bücher sind – so wie sie hier liegen – weitgehend in ihrem Originalzustand«, betont Dr. Ott. Und ergänzt auf meinen erstaunten Blick hin: »Papier und Ein- bände aus dieser Zeit sind sehr robust.« Nicht zu vergleichen mit Büchern aus dem 19. oder 20. Jahrhundert, die heu- te nur mit Mühe überhaupt zu erhalten sind. Zudem werden die Bücher, wenn sie nicht gerade in einer Ausstellung präsentiert sind, in einem speziellen Sondermagazin im Keller der ThULB aufbewahrt. Bei konstanten 19 Grad und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent überstehen diese sicherlich auch die kommenden Jahrhunderte, er- klärt er mir schmunzelnd. Und, dass es eher Ausstellungen wie diese sind, die den wertvollen Schätzen am ehesten Schaden zufügen könnten. Wie bitte? »Wenn die schweren Bände über Wo- chen oder Monate geöffnet sind, noch dazu in halbschräger Position, wenn sie längere Zeit Licht ausgesetzt sind – all das belastet das Material.« Dies gelte es natürlich zu vermeiden und bereits im Vorfeld abzuwenden. Das ist die Aufgabe der Restauratoren der ThULB. Sie überprüfen laufend die immensen Bestände an Büchern und Handschriften – allein aus dem 16. Jahr- hundert verfügt die ThULB über etwa 27000 Titel – pflegen und restaurieren diese und bereiten sie für Ausstellun- gen vor. Einblick in die Restaurierungswerkstatt Restaurator Frank Schieferdecker und sein Team–Annett Blumenthal, Susanne Kull und Ulrike Sachße – arbeiten eine Etage unter dem Ausstellungsraum. Ihre Werkstatt ist ein großer heller Raum mit Blick auf den Frommannschen Gar- ten. Große Arbeitstische stehen entlang der Fensterfront mit Töpfen, Pinseln und Papieren, in der Mitte des Raumes gibt es weitere Arbeitsflächen, daneben riesige Hebelscheren mit Klingen von einem Meter Länge, Rollcontainer und Bild rechts: Die »Deutsche Messe« von Martin Luther aus dem Jahr 1526 gehört seit 2015 zum Weltdoku- mentenerbe der UNESCO und ist in der Ausstellung zu sehen.

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