Lichtgedanken 02
S C HW E R P U N K T 22 sierte diese Experimente. Reinhart und Karlstadt wurden des Landes verwie- sen. Als Pfarrer und späterer Superin- tendent wurde Anton Musa 1524 nach Jena berufen. Er führte die Reformation in geordnete, lutherische Bahnen. Wo sind Spuren der Reformation heu- te in Jena sichtbar? Der wichtigste Ort ist die Stadtkirche St. Michael mit der Kanzel, von der Luther gepredigt hat, und mit der ori- ginalen Grabplatte. Als zweiter Ort ist der »Schwarze Bär« zu nennen, jener Gasthof, in dem Luther mit Karlstadt stritt – damals vor den Toren der Stadt gelegen. Zentral – für die Universität – ist das Collegium Jenense, das ehemali- ge Dominikanerkloster, in dem Johann Friedrich I. die »Hohe Schule« einrich- ten ließ. Auch das Rathaus ist ein Ort der Reformation, ebenso das Karmeli- tenkloster, in dem die Jenaer Lutheraus- gabe gedruckt wurde, und dessen Reste mittlerweile wieder zugänglich sind. Die Jenaer Lutherausgabe ist gerade in einer Ausstellung in der ThULB zu sehen. Ausgestellt ist auch eine Ausga- be des Neuen Testaments von 1540, auf deren Schlussseite Luthers Vertrauter Georg Rörer eine handschriftliche No- tiz hinterlassen hat, die den Thesenan- schlag von 1517 belegen soll. Was glau- ben Sie, wie die Veröffentlichung von Luthers Thesen abgelaufen ist? Hat er sie tatsächlich »angeschlagen«? Belegt ist, dass Luther am Vorabend des Allerheiligenfestes – also am 31. Okto- ber 1517 – einen Brief an den Erzbischof Albrecht von Brandenburg geschickt hat, in dem er zu einer Disputation über den Ablasshandel aufforderte. Seine Thesen für diese Disputation ließ er als Plakat drucken und es ist anzunehmen, dass er sie auch in Wittenberg bekannt machen ließ. Freilich hatte er hierfür nie einen Hammer in der Hand! Er ließ sie durch den Pedell, den Universitätsdie- ner, an Kirchentüren heften. Eine da- mals übliche Praxis. Allerdings wurde das Plakat nicht mit Nägeln angebracht, sondern geklebt – die Kirchentüren hät- ten es sonst nicht lange überlebt. Aber es gibt für den Thesenanschlag keine Augenzeugenberichte. Dennoch liegen Indizien vor, u. a. der Vermerk Georg Rörers, der allerdings am 31. Oktober 1517 nicht dabei war. Auch der Zeit- zeuge Melanchthon berichtet vom The- senanschlag. Wie sehen Sie Luther persönlich? Ist er für Sie ein Held? Luther war ein Genie. Den Heldenbe- griff halte ich für ungeeignet, da er kei- ne Differenzierungen zulässt. Bei aller Sympathie für Luther und Begeisterung für seine großartigen Begabungen gibt es Seiten an ihm, die mir fremd sind und die ich schwierig finde. Z. B. die er- drückende judenfeindliche Polemik in seinen späten Judenschriften. Dennoch steht außer Frage, dass er ein Glaubens- lehrer war, der dem christlichen Glau- ben wesentliche Impulse gegeben hat, wie die Bibelübersetzung, kirchliches Liedgut, den Kleinen Katechismus, das Freiheitsthema und so weiter. Aber er war – wie wohl alle Geistesgrößen – ein Mann mit Ambivalenzen und keine nur strahlende Lichtgestalt. Wird dieser »dunklen« Seite Luthers – gerade im Jahr des 500. Reformations- jubiläums – denn genügend Beach- tung geschenkt? Ja, eindeutig ja. Das Thema Judenschrif- ten beschäftigt nicht nur Historiker und Theologen, es ist auch eines der Haupt- themen des Reformationsjubiläums. Es wurde keineswegs unter den Teppich gekehrt, wie von manchen Journalis- ten suggeriert wird. Das Thema wird nicht nur in den Feuilletons diskutiert, sondern auch in Positionspapieren der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Evangelischen Kirche in Mittel- deutschland kritisch thematisiert. Welche Reformen würde Luther, Ihrer Meinung nach, heute wohl anstoßen? Er würde der Kirche sehr deutlich ins Gewissen reden. Er würde fragen: Wo seid ihr eigentlich noch bei der christli- chen Kernbotschaft? Wo sorgt ihr euch noch um den Glauben und die Men- schen? Was unternehmt ihr, um die Re- levanz des Glaubens, der im Leben und Sterben trägt, an die nächste Generati- on weiterzugeben? Streitet euch nicht um Nebensächlichkeiten! Entwickelt Visionen für eine lebendige Kirche mit Zukunft! Kurzum: Er würde eine Kirchenreform anstoßen. Ihm ging es um die Wahrheit und so denke ich, er würde uns mah- nen, wieder stärker nach der Wahrheit zu fragen. Auch würde er nicht müde zu predigen, dass Glaube und Liebe ele- mentar zusammengehören. Würden wir das beherzigen, ließe sich vieles in un- serer Gesellschaft und Umwelt lebens- dienlicher gestalten. Kirchenhistoriker Prof. Dr. Christopher Spehr ist Beauftragter des Präsidiums der FSU für das Refor- mationsjubiläum und hat soeben die Broschüre »Orte der Reformation – Jena« mit herausgegeben, die die lokalen Spuren und Schauplätze der Reformation sowie ihrer Wirkungsgeschichte beleuchtet (ISBN 978-3-374-04415-3). Zum Fototermin haben wir uns in der Jenaer Stadtkirche St. Michael verabredet – dem, wie er sagt, »wichtigsten Ort der Reformation in Jena« (auch Foto S. 20).
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