Lichtgedanken 02

S C HW E R P U N K T 21 02 | LICHT GEDANKEN Wir schreiben das Jubiläumsjahr 2017: Genau 500 Jahre ist es her, dass Mar- tin Luther die Reformation und damit vielfältige und tiefgreifende Verän- derungsprozesse angestoßen hat. Was war aus Ihrer Sicht das Entscheidende dabei? Luther hat den Menschen einen unmit- telbaren Zugang zu Gott eröffnet. Wirk- ten in der spätmittelalterlichen Kirche die Priester als Mittler zwischen Gott und Mensch, so steht nach Luther jeder Mensch direkt vor Gott. 1522 sagte er: Du selbst bist in deiner Todesstunde für dich verantwortlich. Und niemand wird in dieser Stunde bei dir sein und dich durch den Tod tragen – das kann allein Gott. Mit dieser Einsicht leistete Luther der Individualität, wie sie für uns heute selbstverständlich ist, Vorschub. Ent- scheidend ist für ihn die Verkündigung des Evangeliums, das im Menschen Glaubensgewissheit weckt und Zuver- sicht für sein Handeln in der Welt. Wie hat das die Kirche verändert? Die Rechtfertigungslehre besagt, dass der Mensch allein aus Gnade im Glau- ben an Jesus Christus gerecht wird. Obwohl der Mensch Sünder ist, wird er durch Gott angenommen, umsonst, ohne eigene Werke und Verdienste. Diese Einsicht hat Auswirkungen auf die Kirchen- und Sakramentenlehre. So reduziert Luther z. B. die Sakramente auf Taufe und Abendmahl. Gleichzeitig drängt Luthers Erkenntnis in die kirch- liche Praxis: Die evangelische Predigt, der Gottesdienst in deutscher Sprache mitsamt deutschsprachigen Liedern und das Abendmahl in beiderlei Gestalt – also mit Brot und Wein. Die Priester­ ehe wird eingeführt, das Pfarramt zum Predigt- und Dienstamt profiliert und die örtliche Gemeinde als Gemeinschaft der Glaubenden aufgewertet. Die grundlegendste Auswirkung dieses Veränderungsprozesses ist die Ausdiffe- renzierung des abendländischen Chris- tentums. Ich spreche bewusst nicht von Spaltung der Kirche, sondern von einer Ausdifferenzierung in einzelne Konfes- sionen. Aus der Reformation sind ne- ben der römisch-katholischen Kirche, die evangelisch-lutherischen sowie die reformierten Kirchen hervorgegangen; auch Täufer und andere Gruppen, die damals als Abweichler galten, dürfen nicht vergessen werden. Wie relevant sind Luthers Lehren denn heute? Es gibt durchaus Fragen und Anliegen Luthers, die uns heute anregen und in- spirieren. Aber ich möchte ganz deutlich sagen: Die Reformation des 16. Jahrhun- derts ist Vergangenheit! Sie ist 500 Jah- re her. Ich finde nicht, dass wir Luther einfach auf heute übertragen können. Damals sah die Welt – auch die Welter- fahrung – anders aus. Man muss Luther und die Reformation im historischen Kontext sehen, andernfalls wird man ihnen nicht gerecht. Aus heutiger Sicht haben wir einen größeren Horizont als Luther und seine Zeitgenossen. In West­ europa sind wir durch die Aufklärung gegangen, haben die Diktaturen des 20. Jahrhunderts erleben müssen – das sind Erfahrungen, die dazu geführt haben, dass wir uns geistig weiterentwickeln. Diese Erfahrungen gelten auch für den Glauben. Dennoch gibt es sicherlich Fragen aus der Reformationszeit, die für uns heu- te noch oder wieder aktuell sind. Wenn man das Individuum in den Blick nimmt, ist eine auch heute aktuelle Fra- ge zum Beispiel die: Was trägt mich im Leben und im Sterben? Und darauf haben Luther und die Reformation ge- antwortet: der Glaube an Gott. Und dies hat auch heute noch Gültigkeit. Aber auch Themen wie das Verhält- nis von Kirche und Staat, formuliert in Luthers sogenannter »Zwei-Rei- che-Lehre«, sind nach wie vor aktuell. Oder das Engagement des Einzelnen für die Mitmenschen oder die Gesellschaft. Für Luther war es selbstverständlich, sich gegen Irrtümer und Missstände zu engagieren, aufzutreten gegen den Ab- lasshandel, und das sogar unter Lebens- gefahr! Dies ist m. E. auch für uns heute wichtig, dass wir – wenn wir Missstän- de entdecken – die Stimme erheben. Obwohl Wittenberg als ihr Ausgangs- punkt gilt, fand die Reformation an vielen Orten Europas statt. Welche Bedeutung hatte die Reformation für Jena und die Universität und welche Rolle spielte Jena für die Reformation? Das wohl wichtigste Ergebnis der Re- formation für Jena ist die Gründung der Universität! Johann Friedrich I. gründe- te 1548 aus der Gefangenschaft heraus die »Hohe Schule« in Jena. Weil die Wit- tenberger Universität für die Ernestiner nach der Niederlage im Schmalkaldi- schen Krieg an Moritz von Sachsen ver- loren gegangen war, Johann Friedrich aber eine Ausbildungsstätte für Pfarrer und Beamte benötigte, wurde die »Sala- na« eingerichtet. In ihr sollte der »wahre lutherische Geist« gelehrt werden. Aus- druck für die Bewahrung des »authen- tischen Luthers« war beispielsweise die Jenaer Lutherausgabe, die in Konkur- renz zur Wittenberger Ausgabe stand. Jena und besonders die Stadtkirche ent- wickelten sich zu einem Memorial-Ort der Reformation und gleichzeitig zu einem Ort, an dem die reformatorische Theologie und das Luthertum gepflegt und vermittelt wurden. Luther selbst weilte nur wenige Male in Jena. Welche Personen haben denn die Reformation in Jena getragen? Jena war bereits in der Frühphase der Reformation offen für neue Ideen. 1521 hat etwa Thomas Müntzer hierher Kon- takt aufgenommen. Er stand im Brief- wechsel mit dem Jenaer Ratsherren und Stadtrichter Michael Klausbeck. Münt- zer versuchte sogar eine Anstellung als Prediger in Jena zu bekommen, was ihm aber nicht gelang. Der bedeutend­ ste Jenaer Reformator bis 1524 war Mar- tin Reinhart, der seit Herbst 1521 oder Frühjahr 1522 hier wirkte. Reinhart, der in Wittenberg bei Karlstadt studiert hatte, entwickelte eigenständige Lehren und emanzipierte sich von Luther. 1523 zog Karlstadt nach Orlamünde und ver- stärkte die frühreformatorische Bewe- gung im mittleren Saaletal. Insgesamt wirkten Jena und seine Umgebung wie eine Art Laboratorium der Reformation, in dem Vieles erprobt wurde. Inhaltlich förderten Reinhart und Karlstadt das Priestertum aller Gläubigen und beton- ten stärker als Luther die Selbstständig- keit der Gemeinde. 1524 führte Luther auf Anraten des Landesherrn eine Visi- tationsreise nach Jena durch und kriti-

RkJQdWJsaXNoZXIy OTI3Njg=