Lichtgedanken 02

S C HW E R P U N K T 17 02 | LICHT GEDANKEN Wer waren die Visitatoren und was lässt sich über ihre Tätigkeit sagen? Bauer: Die Visitatoren waren zumeist Theologen und Beamte, die vom Kur- fürsten die Anweisung erhielten, die Gegebenheiten vor Ort zu überprüfen. Der wohl bekannteste Visitator war Philipp Melanchthon. Spehr: Der lateinische Begriff wurde in der frühmittelalterlichen Kirche ge- bräuchlich für die Besuche des Bischofs in den Gemeinden. Diese bischöfliche Aufgabe ging im Zuge der Reformation auf den Landesherrn über. Wie liefen die Visitationen ab und wo- her wissen wir heute von ihnen? Bauer: Die Visitatoren kamen in die Orte und riefen dort die Pfarrer zusammen. Als Leitfaden diente ihnen »Der Un- terricht der Visitatoren«, faktisch das Handbuch zur Reformation. Dieses Buch erschien erstmals 1528 in einer Auflage von über 700 Exemplaren und diente später in weiteren Territorien zur Durchsetzung der Reformation. In den Archiven gibt es noch zahlreiche Visi- tationsprotokolle, die uns als wertvolle Quellen dienen. So wissen wir, dass es 1527 die erste große Visitation gab. Da- bei wurden die Gemeinden im Saale-Or- la-Raum besucht, in Weida beginnend bis hin nach Auma und Ziegenrück. Die Pfarrer mussten also Rechenschaft ablegen vor den Visitatoren? Spehr: Mit der Visitation verbunden war so etwas wie eine Inventur. Die Pfarrer mussten die Bücher offenlegen, die Aus- gaben und Einnahmen dokumentieren. Zentral aber war die Frage nach ihrem Glauben. Was lehrten die Pfarrer und Prediger ihre Gemeinden? Hielten sie am alten Glauben fest oder schlossen sie sich dem evangelischen Glauben an? Verlor der Pfarrer seine Stellung, wenn er sich weigerte, der neuen Lehre zu folgen? Spehr: Seit den 1530er Jahren gab es wei- tere Visitationen in Kursachsen. Stärker als zuvor wurde überprüft, inwiefern die neue Lehre befolgt werde und ob die wirtschaftliche Versorgung der Pfarrer sichergestellt sei. Verweigerte sich ein Pfarrer den Anweisungen des Landes- herren konnte er seine Stelle verlieren. Einen sofortigen Bruchmit der alten Kir- che vollzog die Reformation aber nicht. Vielmehr gab es in den ersten Jahren vielfältige Übergänge und Kompromis- se, so dass wir von einer Phase des Um- bruchs ausgehen. Die nachhaltigsten Impulse zur Entwicklung des evange- lischen Kirchenwesens in Kursachsen gingen von Martin Luther und seinen Kollegen aus. Auf diese Wittenberger Lehre wurden die Geistlichen schließ- lich verpflichtet. Wo bleibt das einfache Volk? Wurden die Untertanen genötigt, sich zur neu- en Lehre zu bekennen? Spehr: In der Regel übernahmen die Menschen die neue Lehre, da sie nun deutlich mehr als vorher verstanden. Beispielsweise fand der Gottesdienst jetzt in deutscher Sprache statt. Litur- Glaubenshüter zu Besuch Die Reformation war eine beispiellose Umbruchzeit für die Menschen des ausgehenden Mittelalters: Festgefügte Gewissheiten gerieten ins Wanken, die alte, über Jahrhunderte zementierte, Ordnung bröckelte. Den Klöstern wurden die Abgaben verweigert, die Autorität der Geistlichkeit war vieler- orts dahin. In dieser Situation – die durch den Bauernkrieg 1525 noch verschärft wurde – sah sich Kurfürst Johann von Sachsen (1468 – 1532) genötigt, die Initiative zu ergreifen. Er sandte Visitatoren in Städte und Dörfer, um die Pfarrer nach ihrer Lehre und ihren Lebensverhältnissen zu befragen. Ein Gespräch mit Kirchenhistoriker Prof. Dr. Christopher Spehr und dem Leiter des Universitätsarchivs, apl. Prof. Dr. Joachim Bauer. INTERVIEW: STEPHAN LAUDIEN gie und Predigt waren verständlich, die Kirchenlieder eingängig. Wer sich nicht zum neuen Glauben bekennen wollte, konnte heimlich beim alten Glauben bleiben oder offiziell auswandern. Es gab bei alldem eine längere Übergangs- zeit, in der die papstkirchlichen Gebräu- che geduldet wurden. Also verlief die Durchsetzung der Re- formation in friedvollen Bahnen? Bauer: Im Großen und Ganzen, ja. Doch es gab auch juristische Streitereien. So zog sich der Rechtsstreit der Jenaer Do- minikaner um ihr Kloster noch bis weit ins 16. Jahrhundert hinein. Sie verließen es nicht freiwillig… Das Collegium Jenense? Bauer: Genau. Im Zuge der Reformation wurden ab 1526 die Thüringer Klös- ter taxiert, ihre Finanzen und die noch verbliebenen Insassen erfasst. Wer das Kloster verlassen wollte, konnte sich ein bürgerliches Leben aufbauen. Die frei- gewordenen Gebäude des Jenaer Domi- nikanerklosters beherbergten später die neugegründete »Hohe Schule«. Zum Thema sind auch zwei Bücher er- schienen: Joachim Bauer, Stefan Michel (Hg.): Der »Unterricht der Visitatoren« und die Durchsetzung der Reformation in Kursachsen (ISBN 978-3-374-04755-0) sowie Dagmar Blaha, Christopher Spehr (Hg.): Reformation vor Ort. Zum Quellen- wert von Visitationsprotokollen (ISBN 978- 3-374-04162-6). Titelblatt des »Vnterricht der Visitatorn an die Pfarhern ym Kurfurstenthum zu Sachssen« von Philipp Melanch- thon (1528).

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