Lichtgedanken 02
S C HW E R P U N K T 15 02 | LICHT GEDANKEN Fliegende Blätter TEXT: UTE SCHÖNFELDER Die Sammlung der Einblattdrucke im Kupferstichkabinett der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha ist eine der umfassends- ten ihrer Art. Doch die rund 700 mit Holzschnitten illustrierten Flugblätter aus dem 15. und 16. Jahrhundert schlummerten über Jahrzehnte einen Dornröschenschlaf. Nur in Teilen war der einmalige historisch gewachsene Bestand wissenschaft- lich erfasst und publiziert, einen vollständigen Überblick über die Sammlung, die zum großen Teil auf die sächsisch-ernesti- nischen Kurfürsten zurückgeht, hatte kaum jemand. Doch das war einmal: Die 2012 ins Leben gerufene »Projekt- gruppe Reformationsgeschichte« unter Federführung der Uni Jena hat den Bestand jetzt umfassend erschlossen und in ei- nem gerade erschienenen Katalog veröffentlicht (ISBN 978-3- 89790-413-2). In der gemeinsamen Projektarbeit, an der neben der Uni Jena und der Gothaer Stiftung auch die Universitäts- Sie waren die Massenkommunikationsmittel der Refor- mationszeit. So wie sich heute Fotos, Meinungen und Nachrichten über Tweets und Posts verbreiten, nutzten die Menschen im 16. Jahrhundert die gerade erfun- denen Techniken des Buchdrucks, um auf illustrierten Handzetteln Informationen zu verbreiten. Dies machten sich auch die Reformatoren zunutze und brachten so ihre Ideen und Glaubenssätze unters Volk. und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha als Partner beteiligt war, sind die Flugblätter konservatorisch gesichert, inhaltlich bearbeitet und erstmals vollständig digitalisiert worden. »Da- mit ist ein langjähriges Forschungsdesiderat erfüllt«, macht Projektleiter Christopher Spehr deutlich. Jetzt – 500 Jahre nach Beginn der Reformation – geben die Flugblätter nicht nur Wis- senschaftlern, sondern auch der interessierten Öffentlichkeit ein lebhaftes Bild der Reformationszeit wieder, so der Jenaer Kirchenhistoriker (Interview S. 20). Denn: »Die Reformation war ein Medienereignis«, so Prof. Spehr. Mit der Verbreitung des Buchdrucks im 15. und 16. Jahr- hundert wurden Druckerzeugnisse aller Art für die Kommu- nikationsprozesse immer wichtiger. »Besonders die Flugblät- ter waren eine leicht erschwingliche Alternative zu Büchern und verbreiteten sich so besonders erfolgreich.« Namhafte Künstler, darunter Lucas Cranach d. Ä. und d. J. oder Albrecht Dürer, fertigten die Holzschnitte für die Einblattdrucke. Die ca. 40 mal 30 Zentimeter großen Seiten thematisieren Er- eignisse jener Zeit. »Wir finden zahlreiche Porträts weltlicher und religiöser Repräsentanten, darunter Bildnisse der Refor- matoren Luther und Melanchthon, aber auch Karl V. oder den Jenaer Uni-Gründer Johann Friedrich«, berichtet Projektmitar- beiterin Ulrike Eydinger von der Stiftung Schloss Friedenstein. Daneben finden sich Themen aus der Alltagswelt, tagespoli- tische Berichte – etwa über kriegerische Auseinandersetzun- gen – bis hin zu Naturphänomenen und sensationslüsternem Klatsch und Tratsch. »Ein ganz umfassender Teil der Gothaer Flugblattsammlung ist aber religiös konfessionellen Themen gewidmet«, so Eydinger. So seien polemische Auseinanderset- zungen mit dem katholischen Glauben und reformatorische Lehren häufige Themen der illustrierten Texte. Flugblatt nach Vorlage aus der Cranach-Werkstatt: Martin Luther, kolorierter Holz- schnitt mit Typentext, Magdeburg 1546, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha Flugblatt von Michael Ribestein: Kurfürst Johann Friedrich I., Herzog von Sachsen, kolorierter Holzschnitt mit Typentext, Berlin 1547, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha
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