Fakultätsbericht 2016-2017
Lehrstuhl für Glaschemie II Prof. Dr. Lothar Wondraczek Forschungsschwerpunkte Forschungsschwerpunkt des Lehrstuhles ist die Ableitung topo-chemischer Prinzipien in nichtkris- tallinen Festkörpern und unterkühlten Flüssigkeiten, deren thermokinetische Beschreibung sowie die Übertragung in neuartige Materialzustände. Anwendungsseitig von besonderem Interesse sind dabei hier zur Zeit vor allem die Strukturdynamik sowie optische und lokale (nano-)mechanische Eigenschaften anorganischer Gläser am Übergang zwischen kovalent, ionisch und metallisch gebundenen Systemen. Am Lehrstuhl werden dafür moderne Methoden der optischen Spektroskopie, hier vor allem hoch- auflösende Vibrations-, Absorptions– und Fluoreszenzspektroskopie, der nanomechanischen Mate- rial- und Oberflächencharakterisierung sowie der in situ Analytik angewandt und weiterentwickelt. In Kooperation mit nationalen und internationalen Industriepartnern erfolgen konkrete Material- entwicklungen bis hin zum Systemdesign, beispielsweise in den Bereichen funktioneller Fassaden- und Fensterelemente, hochfeste Glassubstrate, Dentalmaterialien sowie funktionale Lichtleiter. 84 — FORSCHUNG Die übergreifende Verbindung von maßgeschnei- derten prozesstechnischen Verfahren und chemi- schen Designs, die auf dem atomistischen Ver- ständnis von Zusammenhängen zwischen Mate- rialstruktur und makroskopischen Eigenschaften beruhen, ermöglicht neue Arten glasiger Werkstof- fe. Dazu gehören z. B. thermodynamisch perfekte Gläser, wie sie klassisch nur durch unendlich lang- same Abkühlraten aus Flüssigkeiten gewonnen werden können, aber auch hybride Gläser, defekt- reiche Festkörper oder kollabierte Strukturen. Hier hat sich der Lehrstuhl mit seinen langfristigen For- schungs- und Arbeitsschwerpunkten positioniert, derzeit unterstützt insbesondere durch den Euro- päischen Forschungsrat, die Europäische Kom- mission, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das BMBF sowie durch die Carl-Zeiss-Stiftung. Nichtkristalline Werkstoffe sind in Form von massiven Gläsern, Fasern, Schichten und Parti- keln material- und prozessklassenübergreifend die Schlüsselkomponente in einer Vielzahl von optischen und energietechnischen Systemen. Über die klassische schmelzebasierte Prozessie- rung dieser Materialien hinaus bietet z. B. auch die Abscheidung amorpher Kondensate aus Flüs- sig- und Gasphasen interessante Möglichkeiten für die Entwicklung funktionaler Werkstoffarchi- tekturen. Gerade in modernen Anwendungen der Optik, Photonik und Energietechnik sind diese ERC-Grant „UTOPES“ Synthesewege bereits heute oft unerlässlich. Sie bilden derzeit den Schwerpunkt der am Lehrstuhl mit Unterstützung der Carl-Zeiss-Stiftung einge- richteten Arbeitsgruppe GFNM. Ein verbindendes Element zwischen allen nicht- kristallinen Werkstofftypen ist ihre molekulare Struktur, die keine Periodizität oder anderweitige Regelmäßigkeit besitzt. In diesem Kontext besteht die große Herausforderung darin, Ordnung in der Unordnung zu finden, d.h., trotz der Abwesenheit klarer, wiederholbarer und auf einen makroskopi- schen Werkstoff anwendbarer struktureller Prinzi- pien und atomistischer Bauregeln physikalische Zusammenhänge zwischen Synthese, Strukturbil- dung sowie den resultierenden Materialeigen- schaften abzuleiten. Erschwert wird dies durch die noch immer fundamental nicht verstandene Strukturdynamik in tief unterkühlten oder einge- frorenen Flüssigkeiten. Ein solches Verständnis würde eine Korrelation von Prozess- und Struktur- dynamik ermöglichen und zu neuen, bisher physi- kalisch nicht erzeugbaren Materiezuständen führen. Diese Fragestellung bildet den zentralen Bestand- teil der durch den ERC-Grant „UTOPES“ unterstütz- ten Arbeiten. Hier werden analog zu nicht-ergo- dischen Erstarrungsprozessen auch nicht-konven- tionelle fest-flüssig-Übergänge untersucht. So bieten Kollapsreaktionen in mesoporösen Kristal- len Einblicke in die Kinetik von Schmelzprozessen.
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